Der Politiker der guten Laune – Klaus Wowereit

Der Politiker der guten Laune.

Zu: Klaus Wowereit mit Hajo Schumacher: „…und das ist auch gut so.“ Mein Leben für die Politik.“ München: Heyne 2009 (zuerst bei Blessing, München 2007)

 

Wenn das Genre Politikerbuch davon leben sollte, die kaum vermeidbare Kurzatmigkeit des politischen Handelns wenigstens intellektuell zu kompensieren, so lebt dieses Buch gerade umgekehrt von einer Befürwortung der Kurzatmigkeit. Deren vielleicht positive Erscheinungsformen wie die Entideologisierung, der Sinn fürs Pragmatische, die Freude am Momentanen, ja Oberflächlichen, sogar der Show werden herausgestrichen. Obwohl in diesem Buch insofern Entspanntheit propagiert und auch in stilistischer Hinsicht praktiziert wird, kommen doch die allgemeinen, historisch-politische Begründungen für diese Haltung knapp zur Sprache. Im Hinblick auf die Zeit nach 1989 in Berlin, also die zähen Nachwirkungen der jahrzehntelangen Spaltung, ist von einem „Mentalitätswandel“ (S. 194) die Rede. Dieser Begriff soll nicht nur tatsächliche mentale Veränderungen in der Stadt beschreiben, sondern diese auch einfordern. Das Buch selbst möchte auf exemplarische Weise von dem Gelingen eines solchen „Mentalitätswandels“ zeugen.

Der Entschluss, sich selbst in einem Buch darzustellen, entspringt sicherlich der seit 2001 gewonnenen überregionalen, ja internationalen Prominenz Wowereits. Wie durchaus richtig kalkuliert, verspricht das Buch unter diesen Bedingungen zu einem ökonomischen Erfolg zu werden: Zuerst 2007 als Hardcover erschienen, kommt es Anfang 2009 mit der Etikettierung „Bestseller“ als Taschenbuch heraus. Wowereit ist sich realistischerweise darüber im Klaren, dass seine Prominenz nicht nur auf politische Leistungen, sondern insbesondere auf das öffentliche Bekenntnis seiner Homosexualität während des Landesparteitages der SPD im Jahre 2001 zurückzuführen ist: „Ich bin schwul, und das ist auch gut so.“ (S. 184) Der Titel des Buches spielt mit dem zweiten Teil des zitierten Satzes auf dieses, eben auch international berühmt werdende ‚Coming out’ eines Politikers an. Wowereit registriert, dass er aus der „weltweiten Schwulen-Szene sehr viel Zuspruch“ empfängt. (S.202; vgl. auch: S. 82/83, 139, 178, 190/191) Diese Prominenz gewährt ihm aber auch die Chance dafür, sein Bild in der Öffentlichkeit durch biographische Informationen zu recht zu rücken. Er ist wie auch viele andere Politiker höchst unzufrieden damit, wie in den Medien über ihn berichtet wird. (Vgl. S. 250, 253, 255, 257). Er ergreift nun die Gelegenheit, Korrekturen an jenem Bild vorzunehmen und die Hauptmotive seines politischen Handelns im Lichte seiner Lebensgeschichte herauszuarbeiten. Wie zudem seine tabellarischer „Lebenslauf“ mit den wichtigsten Stationen seiner politischen Karriere und Fotos zeigen, möchte er hiermit auch die Geschichte seiner Heimatstadt vor und nach der „Wende“ veranschaulichen. Es geht ihm mit diesem Buch weniger um eine „authentische“ Autobiographie als vielmehr um eine politisch agitierende Selbstdarstellung. Davon zeugt die Mitwirkung eines Journalisten, des promovierten Politologen Hajo Schumacher.

Wowereit charakterisiert sich selbst als einen „zupackenden“ Politiker ohne große theoretische Ambitionen. So geht es in seinem Buch nicht – wie in dem zwei Jahre später erscheinenden Buch von Heiner Geißler: Ou Topos. Suche nach dem Ort, den es geben müsste – um die Formulierung politischer Fernziele, sondern um den Bericht über die Karriere eines geschickten politischen Pragmatikers unter den Bedingungen des geteilten und dann wieder zusammenwachsenden Berlin. Utopische Entwürfe können Wowereit auch deswegen nicht faszinieren, weil die allmählich wieder einkehrende Normalität Berlins angesichts der katastrophalen Geschichte dieser Stadt utopisch genug anmuten mag. Als linker Pragmatiker unterscheidet sich Wowereit von dem Visionär Geißler, konvergiert aber mit ihm in seinem Individualismus.

Überraschend wirkt die politische Karriere Wowereits nicht wegen ihrer ungewöhnlichen Zielstrebigkeit, sondern wegen ihrer familiären Voraussetzungen. Angesichts einer „Patchwork“-Familie mit fünf Geschwistern von verschiedenen Vätern und einer allein erziehenden, zeitweise auch als Putzfrau arbeitenden Mutter war es ihm offensichtlich nicht in die Wiege gelegt worden, mit 30 Jahren zum jüngsten Stadtrat (1984) und mit 49 Jahren (2002) zum „Regierenden Bürgermeister“ der Stadt zu werden. Sympathien weiß er für sich zu wecken, wenn er dankbar von der Lebenstüchtigkeit seiner Mutter und seinem praktischen Engagement für sie nach ihrer Krebserkrankung und dem anschließenden langen Siechtum berichtet. Dass dem offiziell propagiertem ‚Aufstieg durch Bildung’ in Wirklichkeit meist die soziale Herkunft im Wege steht, hat er am eigenen Leibe erfahren müssen (S. 50). Seine Kritik an diesen bleiernen Verhältnissen in Deutschland (S. 38, 69,70) und an den Studiengebühren wirkt vor diesem Hintergrund glaubwürdig. Die Schule machte ihn zu seinem eigenen Bedauern zwar nicht zum „Bücherwurm“ (S. 48), weckte aber durch die Schülermitverwaltung seine Lust an der politischen Betätigung. (S. 91) Seine politische Karriere könnte somit als ein später Erfolg der von den Amerikanern nach dem Kriege eingeführten Politik der „Reeducation“ interpretiert werden. Wer ihn nicht näher kennt, dürfte von seiner Mitteilung, der katholischen Konfession anzugehören und seinem Bekenntnis: „Ich glaube an Gott.“ (S. 266), überrascht sein. Zum kommenden Mann in der Berliner SPD wurde der junge Jurist,  weil er gleichermaßen Abstand von den Reaktionären in der eigenen Partei (Stichwort: „Portugiesisch Tempelhof“ S. 66) und den marxistisch inspirierten Linken, incl. den „1968ern“, zu halten vermochte.

 

Politische Substanz gewinnt die Autobiographie Wowereits vor allem durch seine Analyse des Jahrzehnts nach dem Umbruch von 1989. Jetzt sollte sich zeigen, dass die Berliner Politik den Herausforderungen, die sich aus diesem Umbruch ergaben, nicht gewachsen war. Obwohl die beiden Stadthälften nun wieder langsam zusammenwuchsen, wurde Politik unter Diepgen, dem damaligen CDU- „Regierenden Bürgermeister“, immer noch im Geiste des alten West-Berlins getrieben. Gewöhnt hatte man sich daran, unter dem ideologischen Schirm eines kämpferischen Antikommunismus auf die Bonner Subventionen zu warten. Diese Mischung aus ideologischem Dogmatismus und ökonomischer Leichtfertigkeit musste die Stadt in eine schwere, auch psychologische Krise stürzen. Dass diese, eben auch historischen Hypotheken um der Zukunft Berlins willen abgeschüttelt werden mussten, wurde zumindest allmählich von der SPD, besonders aber von Wowereit, seit 1999 Fraktionsvorsitzender, erkannt. Die große Koalition mit der CDU wird wegen des Bankenskandals 2001 aufgekündigt, Diepgen mit Hilfe eines Misstrauensantrags abgewählt und Wowereit 2002 zum „Regierenden Bürgermeister“ gekürt. Er ist sich bewusst, dass er diesen politischen Erfolg einer außerordentlichen Koinzidenz seiner individuellen Eigenart mit den Erfordernissen der Zeit zu verdanken hat: „Zwölf Jahre nach der Wende war die Zeit reif für eine neue Figur in einer neuen Stadt. Und diese Figur war ich, der zur richtigen Zeit am richtigen Ort war. Das war mein Glück.“ (S. 203)

„Mentalitätswandel“ bedeutet vor allem, sich von den ‚heroischen’ Prinzipien der Vergangenheit West-Berlins zu lösen und in der Gesamt-Berliner Gegenwart anzukommen. Das ‚weltpolitische’ Pathos der Berliner Politik, durch den „Kalten Krieg“ erzeugt, musste samt der Trauer über sein Verblassen überwunden werden. Stattdessen galt es, sich auf genuine Tugenden der einfachen Berliner wie ihre unprätentiöse Art, Lässigkeit, Kontaktfreude gegenüber Fremden und Liberalität, aber auch die „preußische“ Tugend der Sparsamkeit rückzubesinnen. Über seine besondere Kompetenz für das Letztere meint Wowereit, seit 1995 haushaltspolitischer Sprecher seiner Fraktion im Abgeordnetenhaus, zu verfügen. Neben seinem bereits zitierten Bekenntniswort und dem bekannten Slogan: „Berlin ist arm, aber sexy.“ (S. 271), ist der Spruch: „Sparen, bis es quietscht.“ (S. 218) zu seinem Markenzeichen geworden. Die harten materiellen Erfahrungen seines Familienlebens sorgen für die biographische Fundierung dieses Mottos.

Als politisch kreativ soll sich Wowereit mit seiner unideologischen und pragmatischen Grundeinstellung vor allem durch die Koalition mit der „PDS/“Die Linke“ erweisen. Heftig angefeindet von den Konservativen – auch in der eigenen Partei – geht er dieses Bündnis nach einem kurzen Zwischenspiel mit den „Grünen“ Anfang 2002 ein. Da die SED-Nachfolgepartei im Osten Berlins stark verankert ist, kann dieses  in Deutschland zunächst einmalige „Linksbündnis“ (chronologisch nach Mecklenburg-Vorpommern) auf Landesebene angesichts der riesigen Probleme einer inneren Wiedervereinigung als eine politische Leistung von nationalem Rang erscheinen. Wenn Wowereit auf die Wandlung der „PDS“, auch ihre „Entzauberung“ durch das „Regieren-Müssen“ (S. 207) hinweist, so wird diese These durch das Urteil eines objektiven Politologen bestätigt.[1]Wowereits Zusammenarbeit mit der Linkspartei scheint auch durch auffällig pragmatische Urteile über die DDR gefördert zu werden – z. B.: „Die DDR-Gesellschaft [ist]etwas gleicher als die bundesdeutsche.“ (S. 85) Sowie: „Man hätte sicher auch das eine oder andere ins gemeinsame Deutschland hinüberretten können.“ (S. 132) Die Unabhängigkeit seines politischen Urteils zeigt sich übrigens auch darin, dass er sich im Widerspruch zur sozialdemokratischen Parteiraison positiv über Angela Merkel – auch wegen ihrer Einstellung zu Berlin – äußert: „[…] so halte ich von ihr eine ganze Menge.“ (S. 235)

Leute in Berlin und anderswo, die Wowereit ablehnen, nennen ihn oft den „Partymeister“. Seine Autobiographie zeigt, dass hinter dem hier gemeinten Sachverhalt auch politische Intentionen stecken. Wenn Wowereit sein Vergnügen an Festen und Show-Veranstaltungen (z. B. bei „Wetten dass“ mit Thomas Gottschalk) öffentlich bekundet, so vergisst er  dabei nicht die Gesamtsituation der Stadt. Die Reflektiertheit seines Verhaltens äußert sich etwa darin, dass er „gute Laune“ zur „Dienstpflicht“ (S. 243) erhebt. Seiner Meinung nach soll es sich bei einer „positiven Grundstimmung“ um einen wirtschaftlich relevanten Faktor handeln: „Ich glaube an die Kraft der guten Laune.“ (ebd.) Dies versucht er sogar wissenschaftlich durch die Aussage eines Professors von der Humboldt-Universität zu untermauern. (S. 275)

Diese gleichsam therapeutische politische Strategie lässt sich zumindest mittelfristig durch einen Begriff von der Gesamtsituation der Stadt rechtfertigen. Kurz gesagt, leidet die Stadt mehr als andere Gemeinwesen in Deutschland darunter, durch strukturelle Probleme überfordert zu sein: schwere, langfristig wirkende historische Traumatisierungen, weitgehende Deindustrialisierung, gerade auch nach der „Wende“, wohl unwiederbringlicher Verlust von Zentralen großer Firmen und Banken, zwar schwindende, aber noch spürbare Gegensätze zwischen den Stadthälften, weit überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit, Schwierigkeiten bei der Integration von Migranten, riesige Verschuldung… Wenn solche Probleme wegen ihrer Massierung nicht voll in den Griff zu bekommen sind, so scheint es sich in der Tat zu empfehlen, zunächst bei den Symptomen, einer depressiven Stimmungslage, anzusetzen. Eine derartige Stimmung begann sich in West-Berlin nach dem Mauerbau 1961 tief einzunisten und breitete sich in dem Jahrzehnt nach der Wende angesichts der nun offenbar werdenden elementaren politischen Fehler wieder aus. (S. 213) So scheint es in der Tat vernünftig zu sein, sich zunächst auf die oberflächliche Ebene der Symptome einzustellen und auf die positive Rückwirkung dieser Oberflächlichkeit, also der „guten Laune“, für den Zustand des Gemeinwesens zu hoffen. Dass Wowereit aus einer deprimierenden Global-Analyse Berlins aber nicht nur die Rezepte: Prinzip Hoffnung und positive Selbstsuggestion ableitet, zeigen seine Äußerungen über mögliche Schwerpunkte eines künftigen politischen Handelns in Berlin. Er setzt auf „weiche Faktoren“ (S. 248, 2629 wie die Kultur (S. 109), den Tourismus (S. 273)… die „erstklassige Party-Szene“(ebd.)  Hier kann aber gefragt werden, ob es sich bei der dabei implizierten Vernachlässigung der ‚harten Faktoren’ langfristig gesehen, nach dem allmählichen Abbau der historischen Hypotheken, um die richtige Strategie handelt. Es dürfte wohl nicht ausreichen, sich auf den einen harten Faktor: Regierungssitz zu verlassen. Die Empfehlung für die Berliner, sich künftig in wirtschaftlicher Hinsicht primär dem Tourismus zu verschreiben, weckt ein leichtes Unbehagen. Soll der ruppige Berliner etwa zu einem liebenswürdigen Vermieter von Ferienwohnungen mutieren? Weiter gefragt: Soll sich Berlin darauf konzentrieren, zum international attraktiven Schaufenster der Nation unter Vernachlässigung der im klassischen Sinne ökonomisch produktiven Arbeit werden? (Auch wenn die übrigen Bundesländer das vielfach ungeliebte Berlin gern darauf reduzieren möchten, sollte sich die Berliner Politik nicht einfach damit abfinden.)

Überhaupt: Das Momentane wie die Flüchtigkeit der „guten Laune“ scheint nur solange als Kriterium für politisches Handeln zu taugen, wie die Politik in ihren anspruchsvolleren Gestaltungsmöglichkeiten noch eingeschränkt ist. Es kann nicht darüber hinweggesehen werden, dass die (gleichsam ironisch Kantische) Rede von der ‚Pflicht zur guten Laune’ einer tieferen, aktuell noch nicht beherrschbaren Not entspringt. Über dem Berg wäre man in Berlin erst dann, wenn man ernst werden könnte, ohne dabei wieder in die Depression zu verfallen.

 

31. 8. 2009 Helmut Pillau



[1] „Die Kehrseite der Akzeptanz der PDS bzw. der ‚Linken’ durch Öffentlichkeit und Gegner(bis hin zur Regierungsverantwortung) lag und liegt in der Entzauberung der Partei. So ergibt sich cum grano salis das folgende Paradoxon: Die Befürworter einer ‚Ausgrenzung’ der Partei stärken diese. Wer ihre Integration in den politischen Diskurs und die politische Verantwortung wünscht, trug (in der Regel ungewollt) zu ihrer Schwächung bei.“ Eckhard Jesse: ‚Die Linke’ im Parteiensystem Deutschlands. In: Deutschland Archiv 4/ 2009, S. 598.