André Weckmann – soddidi danke kenne
Zu André Weckmann: soddidi danke kenne[1]
soddidi danke kenne
kenndidi danke welle
derfdidi hàn
wessdidi ze fende
daddidi verkende
miëssdidi gan
In diesem Gedicht wird darüber nachgedacht, was „Haben“ in der Liebe bedeutet. Dabei ergibt sich die paradoxe Pointe, dass die Verfügung über den anderen hier nur auf eine imaginative Weise möglich wird. Man hat den anderen, sobald man die Möglichkeit, ihn aus dem eigenen Geiste heraus lebendig werden zu lassen, aktiviert: „soddidi danke kenne“. Der Eindruck, den der andere auf einen macht, erweist sich dadurch als nachhaltig, dass man ein inneres Bild vom anderen in einem selbst entstehen lässt: „kenndidi danke welle“. Dieses „Haben“ des anderen ist insofern ein Nichthaben, als durch den strikt innerlichen, geistigen Modus dieses Habens eine wirkliche Verfügung über anderen ausgeschlossen wird: „derfdidi hàn“. Es handelt sich um eine innere Sicherheit gegenüber dem anderen, die auch als Vertrauen definiert werden könnte. Weil man aufgrund eines tiefen inneren Einklangs mit dem anderen ihm vertraut, kann das Bedürfnis nach der tatsächlichen Verfügung über ihn, seiner Kontrolle, gar nicht erst aufkommen. Der andere ist bei einem, obwohl er einem realiter fern ist. Umgekehrt müsste die wirkliche, sinnliche Nähe zum anderen eine Gewalt über ihn ausschließen. Diese Nähe wäre nur als Symbol seines inneren Bildes legitim. Überraschenderweise kann man also über denjenigen, der einem nahe steht, viel weniger verfügen als über denjenigen, der einem ferner steht. Man ‚hat’ denjenigen, den man liebt, weil einem das, was einen selbst trägt und worüber man nicht verfügt, durch den anderen offenbar geworden ist.
In der zweiten Hälfte des Gedichts kommt demgegenüber die Unvereinbarkeit vom wirklichem Haben und Liebe zur Sprache. Was sonst als Erfolg gilt, nämlich das Gesuchte gefunden zu haben und dies auch publik zu machen, bedeutet im Zusammenhang der Liebe gerade ein Scheitern. Weil die Beziehung zum anderen nun durch rationale Eindeutigkeit, die Sicherheit und den Stolz des Besitzes bestimmt wird, kann sie keinen Bestand haben. Die Liebe wird durch ihre Fixierung getötet: „wessdidi ze fende/ daddidi verkende/ miëssdidi gan“.
Helmut Pillau
[1] André Weckmann: Bluddi Hand. Nos Mains Nues. Blosse Hände. Édition complète des oeuvres poétiques. Tome IV. Hg. von Peter André Bloch. Strasbourg: Oberlin, 2002, S. 203.
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